Wie sich das Internet auf die politische Kommunikation und Partizipation der Bürger auswirkt hat die Technische Universität Ilmenau im Rahmen des Projekts „Politische Online-Kommunikation” im Zeitraum von 2002 bis 2009 untersucht. Die Ergebnisse sind diesen September als Buch mit dem Titel „Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland“ erschienen.
Laut der Projektbeschreibung umfasste das Projekt folgende zentrale Untersuchungsfragen:
– Wie nutzen die Deutschen die Möglichkeiten des Internets für ihre politische Information, Kommunikation und Partizipation?
– Welche Auswirkungen haben mögliche Veränderungen (z.B. die Nutzung des Internets zur politischen Informationssuche) auf die bisherigen Mediennutzungs- und Kommunikationsmuster? (Abkehr oder Mobilisierung)
Das Ziel des Projekts umfasste dabei eine Überprüfung verschiedener theoretischer Ansätze, welche kommunikatives Handeln der Bürger erklären. Ebenfalls sollte das Vorhaben eine langfristige Beobachtung der individuellen politischen Kommunikation ermöglichen, um belastbare Aussagen über Veränderungen im Zeitverlauf und über deren Ursachen und Wirkungen machen zu können.
Im Interview mit Zeit Online berichtet Gerhard Vowe (wissenschaftlicher Leiter des Projekts) über die Methodik und die Ergebnisse. Im Rahmen der Studie wurden jährlich 1.400 Bürger telefonisch nach ihrer politischen Kommunikation befragt. Thematisch ging es dabei um ein breites Spektrum vom Lesen des Politikteils der Tageszeitung bis zur Teilnahme an Demonstrationen und dem Unterschreiben einer Online-Petition.
Die Forscher stellten fest, dass sich 50 % der Bevölkerung (welche als “Passive Mainstreamer” klassifiziert wurden) nicht an politischer Kommunikation beteiligen und dass ihre Mediennutzung weitgehend unpolitisch ist. Der politische Teil der Berichterstattung in Tageszeitungen oder der Fernsehnachrichten interessiert sie wenig, woran auch das Internet nichts geändert hat.
Bei der anderen Hälfte der Bevölkerung ließen sich vier weitere Gruppen unterteilen, wie Gerhard Vowe im Interview beschreibt:
1) “Eigennützige Interessenvertreter”: Menschen, die Mitglied in Gewerkschaften und Verbänden sind und sich auch politisch engagieren, allerdings sehr gezielt im Rahmen ihrer spezifischen Interessen. Diese Gruppe macht rund 20 % der Bevölkerung aus. In der Regel sind es Ältere, das Internet nutzen sie nur peripher und nebenbei.
2) “Traditionell Engagierte”: sie informieren sich vor allem über die klassischen Massenmedien und sind überdurchschnittlich oft in Bürgerinitiativen oder Umweltschutzorganisationen aktiv.
3) “Organisierte Extrovertierte”: umfassen ebenfalls viele Ältere, die extrem kommunikationsfreudig sind und eigentlich alle Kanäle zur politischen Auseinandersetzung nutzen.
4) “Bequeme Moderne”: diese Gruppe weist die höchste Internetaffinität auf und unterhält sich auch mehr als andere über politische Themen. Sie partizipiert politisch fast ausschließlich über das Internet; Fernsehen und Tageszeitung spielen kaum noch eine Rolle. Das sind in erster Linie junge Menschen, 16- bis 29-Jährige. Diese Gruppe macht einen Anteil von rund 16 % der Bevölkerung aus.
Die Ergebnisse über die Häufigkeit der sowohl online als auch offline stattfindenden Kommunikation zur Information, zur politischen Kommunikation und zur Partizipation können auch dem Vortrag „Politische Mobilisierung durch das Internet?“ von Gerhard Vowe und Martin Emmer (18.01.2010) entnommen werden. Darin sind auch Angaben zum theoretischen Hintergrund, der Methodik und den Ergebnissen der Studie enthalten.
Generell fanden die Forscher laut der Zusammenfassung heraus, dass…
– es partielle moderate, aber stabile direkte Mobilisierungseffekte des Internets gibt. Der Onlinezugang beeinflusst die politische Informationsnutzung unmittelbar und positiv.
– schwache positive Auswirkungen der intensiveren Information auf Partizipation und politische Einstellungen vorhanden sind.
– sich keine Bestätigung der Abkehrhypothese und keine Substitutionseffekte bei Information und Partizipation zeigte(n).
– Kohorteneffekte Veränderungen verstärken, da die „Online-Generation“ in die Gesellschaft hinein wächst.
In dem Interview mit Zeit Online fasst Gerhard Vowe die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Für viele hat sich wenig verändert – sie bleiben bei ihren Gewohnheiten, auch in ihrer politischen Kommunikation. Aber die, die mit dem Internet groß werden, die entwickeln erst ihre Gewohnheiten. Auch darin, wie sie sich politisch informieren und wie sie politisch teilhaben. Und sie werden dabei vor allem vom Internet geprägt.“
Dies bedeutet, dass das Internet durchaus Effekte auf die politische Information und Beteiligung ausübt, allerdings eher bei den Generationen der Digital Natives.